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KEIN TAG OHNE NEUBEURTEILUNG

EMR August 2024

Liebe Leserinnen und Leser,

PROGNOSEDILEMMATA

Aufgrund der schwachen Wachstumserwartungen in den USA. erlebten anfangs August 2024 die Aktienmärke weltweit grosse Nervosität. Dies führte zu einer starken negativen Korrektur. Bislang betrifft die Korrektur im speziellen die US-Tech-Giganten, aber nicht nur. Den Nachrichten zufolge ist der Treiber in den wirtschaftlichen Erwartungen und den entsprechenden politischen Massnahmen und Reaktionen der jüngsten Vergangenheit zu suchen. Warum sind die meisten Analysten wegen der negativen Erwartungen so beunruhigt? Wir erinnern uns daran, dass bis Juli 2024 das Hauptaugenmerk auf Zinssenkungen lag, um die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln zu können. Eine besondere Befürchtung wurde in der Möglichkeit gesehen, dass das FED im September 2024 Zinssenkungen ankündigen könnte und dass diese zu spät kämen, um die befürchtete Rezessionsphase zu vermeiden. Ein weiteres Argument, das zur Erklärung der Korrektur angeführt wurde, war der jüngste US-Arbeitsmarktbericht. Wie lässt sich diese dramatische Umkehr einordnen?

Als Wirtschaftswissenschaftler mit langjähriger Erfahrung möchte ich darauf hinweisen, dass das aktuelle Szenario nicht neu ist. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Währungsbehörden und die grosse Mehrheit der Analysten weiterhin die Nachfrageseite zum Nachteil der Angebotsseite hervorheben. Tatsache ist, dass die überwältigende Mehrheit auf weitere Zinssenkungen setzt, um das Verbraucherwachstum anzukurbeln. Man muss sich fragen, warum der Pessimismus so weit verbreitet ist, obwohl das Wirtschaftswachstum in den letzten drei Monaten recht stark ausgefallen ist? Steigende Preise sind ein Aspekt, der dazu beitragen könnte, das wirtschaftliche Wohlergehen anzukurbeln. Auf jeden Fall ist die Zahl der Entlassungen nach wie vor eher gering.

Die Reaktionen der technologieorientierten Unternehmen (Apple, Microsoft, NVIDIA, Alphabet (Google), Amazon, Meta Platforms (Facebook), Tesla, Oracle, Samsung und viele andere) haben eine deutliche Korrekturphase durchlaufen.

Hier stellt sich die Frage, warum sich die derzeitige Untersuchung nicht wesentlich stärker auf die Angebotsseite konzentriert, da sie derzeit doch das wichtigste destabilisierende Element darstellt. Wir fragen uns, warum die meisten Analysten derzeit die Angebotsseite als einen bestimmender Faktor kaum berücksichtigen? Die schwierige, kontextbezogene Frage ist, wie es möglich ist, die Inflation zu senken, indem man in erster Linie auf die Zinssätze einwirkt, während das Rohöl aus Russland und anderen Ländern die Preise in die Höhe treibt? Vor allem Russland ist daran interessiert, die europäischen und westlichen Volkswirtschaften zu destabilisieren, während es den Rohölpreis immer weiter in die Höhe treibt. Die relevante Frage bezieht sich auf die Effizienz von Zinserhöhungen zur Kontrolle des Preisanstiegs? Die Reaktion der Industrie dürfte nicht so schnell und konkret ausfallen, auch wenn passende Substitutionsgüter fehlen. Die unmittelbare Auswirkungen sind daher relativ gering und schwer zu quantifizieren. Das Problem des Verständnisses und der Messung der Elastizität der Nachfrage auf eine Preisänderung bei einem „Produktionsgut“ wie das Rohöl ist noch schwieriger, wenn es sich bei dem Produkt nicht um ein Konsumgut handelt, das für sich selbst betrachtet wird, sondern ein wichtiger Input für andere Konsum- und/oder Industriegüter ist!

Eine Zinssatzsenkung kann zu gegebener Zeit dazu führen, dass der Preis eines Konsumgutes sinkt, nicht aber, dass die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern kompensiert oder erhöht wird. Wir befürchten, dass Zinssenkungen seitens der Zentralbanken einen umgekehrten Effekt haben könnten, d.h. einen Rückgang der Endnachfrage nach sich ziehen. Nur wenn die Senkung der Preise für Ausrüstungsgüter zu einer Senkung der Preise für Konsumgüter führt, wird auch die Inflation sich entsprechend anpassen.

Auch wenn die tatsächlichen Ursachen für das jüngste Börsenbeben nicht ganz klar sind, so steht doch fest, dass Grossinvestoren z.B. mit dem Yen in grossem Stil spekuliert haben. Wie kann es sein, dass es fast aus dem Nichts zu einer solchen panikartigen Reaktion kommen konnte und kam? In der Presse kursieren verschiedene Erklärungen. Eine dieser Erklärungen, die auch wir für „entscheidend“ halten, lässt sich irgendwie mit dem vorangegangenen, ja übertriebenen Boom im Technologiesektor und der befürchteten Rezessionsmöglichkeit in den USA in Verbindung mit einer weiteren Eskalation des Krieges im Nahen Osten erklären. Wir befürchten, dass viele Marktteilnehmer und Kommentatoren „blind“ der Versuchung des Currency Carry Trade gefolgt sind. Bei dieser Art des Handels werden Zinsunterschiede zwischen verschiedenen Währungen ausgenutzt, um grössere Gewinne zu erzielen. Grosse institutionelle Anleger, die grosse Summen bewegen, nehmen Kredite in einer Währung mit niedrigeren Zinssätzen auf und legen das „geliehene“ Geld in einer Währung mit höheren Zinssätzen an. Dieser Ansatz hat nichts mit „fundamentalem“ Handeln zu tun. Für die Prognostiker bedeutet dies nichts anderes, als dass die „orchestrierten“ Zinsanpassungen weder dem Wirtschaftswachstum noch der Inflationsbekämpfung dienlich sind.

Dieses spekulative Theater ist problematisch, wenn sich das Verhältnis zwischen den Währungen innerhalb eines kurzen Zeitraums massiv ändert. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Was ist der Zweck der Zinsanpassungen der Zentralbanken?

KURZFRISTIGE EINSCHÄTZUNG

In Anbetracht der jüngsten sozioökonomischen Trends sind wir der Ansicht, dass die kurzfristigen Aussichten sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht, sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene, schwer zu quantifizieren sind. Wir glauben, dass das Wirtschaftswachstum relativ schwach bleiben sollte. Das Ausmass der notwendigen Senkung der Energiekosten lässt sich nach wie vor nur schwer mit der erforderlichen Sicherheit und Präzision vorhersagen.

Die Verzögerung oder Beendigung des russischen Einmarsches in der Ukraine bedeutet nicht, dass die Energiepreise (die wichtigste Determinante der Inflation) in absehbarer Zeit sinken werden, im Gegenteil, sie könnten sogar auf unbestimmte Zeit steigen, was sich nicht mit der erforderlichen zeitlichen und quantitativen Präzision beziffern lässt. Die Interaktion mit anderen Energieerzeugern könnte die Befürchtung einer anhaltend hohen Inflation aufrechterhalten. Entsprechende Befürchtungen könnten eine Herausforderung für die Zentralbanken, im Rahmen ihrer zinspolitischen Entscheidungen darstellen. In jedem Fall sollte nicht vergessen werden, dass die Vorhersagen verschiedener Spekulanten nicht eingetreten sind. Mit anderen Worten: Wir erwarten keine dramatischen Veränderungen bei den Inflationsraten.

MITTELFRISTIG

Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten (am 5. November) dürften eine entscheidende Rolle spielen. Dementsprechend werden sie in gewisser Weise den wirtschaftlichen Wachstumspfad der Vereinigten Staaten sowie den europäischen und weltweiten Wachstumspfad bestimmen.  Beide Kandidaten versprechen nicht allzu viel. Die Situation spricht nicht für eine dramatische Verbesserung der Finanzmärkte.

Es ist bekannt, dass die US-Wahlen die einzigen nationalen Wahlen sind, die ernsthafte globale Auswirkungen haben oder haben können. Unseres Erachtens wird es darauf ankommen, wie die angekündigten Zinssenkungen von der Öffentlichkeit aufgenommen werden, die zu gegebener Zeit zwar zu einer Senkung der Preise für Konsumgüter, nicht aber zu einem Ausgleich oder einer Erhöhung der Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern führen können.

Ein interessanter Aspekt wird die Rolle der Vizepräsidentschaftskandidaten sein. An dieser Stelle sei auf den unterschiedlichen Fokus der beiden Kandidatenteams hingewiesen. Trumps Team scheint sich vor allem auf die Vergangenheit zu konzentrieren, während das Team von Kamala Harris in erster Linie an der Zukunft interessiert zu sein scheint. Sowohl der ehemalige Präsident als auch sein Vize sprechen die Sprache der Verachtung für ihre jeweiligen Vertragspartner und konzentrieren sich vorerst auf den „US-Nationalismus“, während sich das Team der Demokraten um Harris in erster Linie auf globale Aspekte konzentriert und damit viel mehr mit dem Rest der Welt in Einklang steht, indem es sowohl  amerikanische Stärken in einer zunehmend globalisierten Welt als auch andere Länder auf globaler Ebene berücksichtigt.

An dieser Stelle möchten wir an den Ausspruch von Mark Twain erinnern: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“. Damit ist gemeint, dass sich historische Ereignisse zwar nicht immer auf die gleiche Art und Weise wiederholen, es aber oft ähnliche Muster, Themen und Dynamiken gibt, die in verschiedenen Epochen zu beobachten sind. Die kontextbezogenen historischen Lektionen, die wir gelernt haben, lassen sich folgendermassen zusammenfassen:

  1. Verkaufen Sie nicht, wenn die Märkte rückläufig sind.
  2. Seien Sie bereit, Vermögenswerte mit einem Abschlag zu kaufen.
  3. Seien Sie ein sachkundiger Anleger, tolerieren Sie Risiken.
  4. Es ist nicht wahr, dass es dieses Mal anders sein wird, und
  5. Bedenken Sie, dass der Markt in den letzten Monaten volatiler war.

Dementsprechend schlagen wir vor, die Auswirkungen auf die kurz- bis mittelfristige Wirtschaftstätigkeit zu quantifizieren, wobei wir uns auch auf die inländische Währung und die Entwicklung der Zinssätze konzentrieren.

Vorschläge sind willkommen.

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