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Evolutionäre Führung

EMR Juli 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

Eine detaillierte und konkrete Einschätzung der aktuellen weltwirtschaftlichen Lage bleibt äußerst schwierig, zumal die Auswirkungen auf die Aktienmärkte nur schwer vorhergesagt werden können. In diesem Zusammenhang erscheinen uns zwei Gründe besonders aufschlussreich. Erstens der sichtbare Antiamerikanismus im Vergleich zur wachsenden Unterstützung für China und insbesondere Russland. Dies lässt sich durch das jeweilige Engagement der betreffenden Regierungen und auch durch die systematische Unterstützung zugunsten global agierender Unternehmen erklären. Mit anderen Worten, gibt es einen klaren Trend zu einer sozialistischen Sichtweise, im Gegensatz zum demokratischen Wirtschaftskonzept des Freihandels. Der zweite Grund besteht in der politisch motivierten Beendigung der Konzentration auf Billigimporte. Diesbezügliche Erwägungen sind eindeutig in der weltweiten Trendwende nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu sehen.

Eine konkrete Einschätzung der nahen Zukunft gibt nach wie vor Anlass zu großer Sorge. Hauptargumente für unsere, eher pessimistische Sicht der aktuellen Lage sind, die Folgen der Finanzkrise von 2008-2009 und der Covid 19-Pandemie, welche die Fragilität der Lieferketten deutlich aufzeigen. Diese Entwicklungen sind vorwiegend politisch motiviert und nicht so sehr mit wirtschaftlichen Zwängen bewertbar. Darüber hinaus wurden und werden Rezessionsängste als Folge des Einmarschs des russischen Militärs in die Ukraine gesehen. Dieser hat klar gezeigt, wie anfällig das Risiko einer zu großen Abhängigkeit von undemokratischen Regimen ist und sein kann. Diese Entwicklungen rufen nach einer neuen Industriestrategie, insbesondere im Bereich der technologischen Wirtschaftsinnovation. Sie ist jedoch auch auf das relative Engagement und die systematische Unterstützung der jeweiligen Regierungen für global tätige Unternehmen zurück zu führen. Mit anderen Worten, es gibt einen erkennbaren Trend hin zu einer linken politischen Haltung im Gegensatz zu einem demokratischen Ansatz in der Wirtschaft.

Daraus kann abgeleitet werden, dass eine neue industrielle Struktur benötigt wird, die den geopolitischen Bedürfnissen und Anforderungen Rechnung trägt und tragen wird. Denn die Förderung oder Bestrafung von Unternehmen sollte nicht Aufgabe der Politik sein, wie es in “dirigistischen” Staaten implizit der Fall ist. Im Allgemeinen und vor allem im Bereich der Privatwirtschaft sollte der Transfer sensibler Technologien in Länder mit feindlichen Regimen wie Russland und China nicht mehr so stark gefördert werden.

DER AKTUELLE RAHMEN

Der Slogan aus dem Clinton-Wahlkampf 1992 bringt es auf den Punkt: “Es geht um die Wirtschaft, Dummkopf”. Der Schwerpunkt liegt zunehmend auf einer modernen und innovativen Industriestrategie. Repatriierung ist derzeit ein ganz heißes Thema. Es geht um den Erhalt und den Ausbau der heimischen Produktionslinien, vor allem im Bereich der neuen Technologien, im Einklang mit Natur und Umwelt. Notwendig und geboten ist daher eine Verlagerung von öffentlichen zu privaten Investitionen, d.h. eine faktische “Repatriierung” der Produktion strategischer Güter und Dienstleistungen.

Sich auf das Wirtschaftswachstum zu fokussieren, ist nicht mehr ausreichend. Vielmehr ist es zwingend notwendig, sich dynamisch und kontinuierlich auf die Kernbereiche der Wirtschaft zu konzentrieren. Diese Annahme spricht von einer Trendwende hin zu einer neueren Innovationsfähigkeit. Ein weiteres Merkmal, das implizit eine Trendwende fordert, verweist auf die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen des Scheiterns der “wirtschaftlichen Integration und Kooperation” in der freien Welt. Denn diese hat die Länder nicht friedlicher und kooperativer gemacht. Hierzu finden wir zwei relevante Erklärungen: erstens den europäischen Antiamerikanismus und zweitens Chinas Politik der anhaltenden Subventionierung verschiedener Aspekte der Wirtschaft, ohne jemals die Auswirkungen auf andere Nationen zu berücksichtigen. Dieses Verhalten wird als “Erosion der Wettbewerbsfähigkeit” bezeichnet und ist normalerweise ein entscheidender Faktor in bestimmten Sektoren. Besonders deutlich werden diese Tendenzen bei der russischen Invasion in der Ukraine.

Ein weiterer Aspekt, der nicht unterschätzt werden sollte, betrifft die Zunahme von politisch motivierten Abhängigkeiten in den Lieferketten nicht nur bei den Halbleitern, sondern zunehmend auch bei medizinischen Geräten – alles Abhängigkeiten, die für die geopolitische Vorherrschaft nützlich sein könnten, während sie gleichzeitig die Ungleichheit erhöhen. Die Interdependenzen, die wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben, sind nicht sehr hilfreich, um konkrete Schlussfolgerungen über den künftigen Verlauf der Wirtschaftstätigkeit und damit auch über eine rentable Investitionspolitik zu ziehen.

INVESTITIONSANSATZ

Auch wenn die oben erwähnten Problemkreise nicht erschöpfend aufgelistet sind, sollten zu gegebener Zeit die Kriterien für die künftige Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit überprüft werden, da sie unter anderem folgendes betreffen:

  • die Politik der regressiven Steuersenkungen,
  • die Kürzung der öffentlichen Investitionen,
  • die Neuordnung der Unternehmensfokussierung,
  • die mögliche Umkehrung der Unternehmenskonzentration und
  • die Steuerung der in- und ausländischen Zinssätze.

IMPLIKATIONEN FÜR DIE INVESTITIONSPOLITIK

Falls unsere Analyse der gegenwärtigen Situation stichhaltig und glaubwürdig ist, dürfte die nahe Zukunft von einer viel stärkeren sektoriellen Verzerrung gekennzeichnet werden, als dies bei der Länderauswahl der jüngsten Vergangenheit der Fall gewesen ist. Es sollte sich dabei nicht um einen “inländischen Bias” gegenüber einem “ausländischen Bias” handeln, sondern vielmehr um einen “sektoriellen Bias”. Eine erfolgversprechende Investitionspolitik sollte sich zunehmend auf die Auswahl der vielversprechendsten Wirtschaftssektoren fokussieren. Dieser Ansatz könnte man als “Verdrängung öffentlicher Investitionen” bezeichnen. Mit anderen Worten sollte der künftige Fokus in erster Linie auf private Investitionen sein, auch wenn wir uns mit einer weitverbreiteten anti-unternehmerischen Haltung in den Medien auseinander zu setzen haben.

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